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Volker Neumann: Projektmanagement im Bahngeschäft von SIEMENS

Volker Neumann, kaufmännischer Senior-Projektmanager bei SIEMENS für Großprojekte im globalen Bahngeschäft und Executive Advisor für OYSTEC, spricht mit Gernot Kapteina, Gründer von OYSTEC, über SIEMENS und dessen Eisenbahngeschäft in Zeiten der Digitalisierung sowie darüber, welche Methoden und Techniken im Projektgeschäft besondere Relevanz haben.

Volker, vielen Dank, dass wir dieses Interview führen! Seit vielen Jahren bist Du nun Projektmanager bei SIEMENS mit dem Fokus auf kaufmännische Projektleitungen im Bahngeschäft. Wie kam es dazu; kannst Du unseren Lesern zuerst etwas über Deinen Karriereweg erzählen? 

Neumann: Sehr gerne. Ich habe schon immer bei SIEMENS gearbeitet, wo ich als Industriekaufmann startete. Ziemlich schnell bin ich dann in einem der ersten großen Auslandsprojekte in China eingesetzt worden. Seitdem hat mich das Projektgeschäft nie mehr losgelassen, so dass ich die Funktion eines kaufmännischen Projektleiters auch heute noch übernehme. Ich bin ein praktisch veranlagter Mensch. Aber trotz aller Praxis gehört der Führerschein zum Fahren dazu; daher habe ich mich über den PM@Siemens-Karrierepfad all die Jahre bis aktuell zum Level B „Senior Project Manager“ zertifizieren lassen. Diese zweithöchste interne Zertifizierung erlaubt es – gemeinsam mit einem Level A „Project Director“ – auch unsere größten und komplexesten Projekte weltweit zu managen. In diesen Fällen übernehme ich dann die kaufmännische Projektleitung.

Zu den interessanten Projekten, in denen Du in vielen Teilen der Welt Projektmanagerrollen übernommen hast, kommen wir gleich noch im Detail. Lass uns zuerst kurz über die Firma sprechen: SIEMENS hat mit seinem 170 Jahren langen Bestehen einen traditionellen Ruf, hat eine mögliche Zerschlagung nach dem Zweiten Weltkrieg überwunden, wurde 1966 als die SIEMENS AG zentralisiert, und sollte dann doch durch Joe Kaeser ab 2010 – diesmal bewusst – aufgespalten werden. Nun wird mit Roland Busch wieder ein eher technisch-orientierter CEO die Geschäfte leiten. Wie ist Deine Meinung zur Firma SIEMENS als Ganzes, wie siehst Du die gegenwärtige Entwicklung – generell und gerade auch für Deinen Bereich der Bahntechnik? 

Neumann: Es ist in der Tat noch nicht klar, ob die seit 2010 kommunizierte Dezentralisierung so weitergehen wird oder nicht. Ich erinnere mich noch an eine Präsentation von Joe Kaeser mit einem Bild von einem Flugzeugträger und kleineren Kriegsschiffen. Kaeser meinte damit, dass man mit kleineren Schnellbooten den Kapitalmarkt besser bearbeiten könnte als mit einem eher schwer-manövrierfähigen Großschiff. Und ja; auch wird es Einfluss haben, dass SIEMENS mit Roland Busch nun wieder von einem Ingenieur geleitet wird, wohingegen Kaeser ja aus der Finanzschiene kam. Wir müssen das also beobachten, wie es weitergeht. Es ist ja oft passiert, dass Geschäftsbereiche erst aus- und dann wieder eingegliedert worden sind. Das wäre jetzt aber reine Spekulation.

In meinem Bereich, SIEMENS Mobility, sind wir verantwortlich für das Eisenbahngeschäft von SIEMENS, welches ein großartiges Geschäft ist – auch aktuell. Staaten fangen ja gerade auch in Krisenzeiten an, in die Eisenbahn zu investieren, da diese systemrelevant ist. Das wird nicht nur in Deutschland so gedacht, sondern global. Zu Zeiten eines Lockdowns muss die Infrastruktur aufrechterhalten werden, zum Beispiel um Lebensmittel zu transportieren. Was mir aber unabhängig von Covid auffällt ist natürlich, dass auch wir bei SIEMENS digitalisieren: Man geht eher von der Industrie weg, hin zur digitalen Schiene. Man legt den Fokus stärker auf Software- als auf Hardwareentwicklungen. Hardware in Deutschland zu fertigen ist nicht immer die schlaueste Variante. Die Digitalisierung unseres Eisenbahngeschäfts führt sogar dazu, dass es eine unserer Visionen ist, in Zukunft eher Lizenzen verkaufen zu wollen, um die Stellwerke für unsere Kunden dann aus der Cloud heraus zu betreiben. Der Kunde steht dabei natürlich weiterhin konsequent im Mittelpunkt. Dazu braucht man allerdings auch performante Hardware, die man auch dem Kunden bereitstellt. In Summe bleibt Eisenbahn aber Eisenbahn.

Was sind die stärksten Konkurrenten von SIEMENS Mobility? 

Neumann: An erster Stelle würde ich da Alstom und Bombardier nennen, die ihre Bahntechnik-Divisionen vor wenigen Monaten fusioniert haben, und ungefähr das gleiche anbieten wie wir auch – allerdings sind diese finanziell noch eine Zeit lang angeschlagen und können Innovationen daher vielleicht nicht mehr in dem gleichen Maße gegenwärtig vorantreiben wie wir; so kommen sie auch nicht auf das gleiche gute finanzielle Rating wie SIEMENS. Allerdings ist das nun ein Big Player geworden, und könnte sich zu einem größeren Konkurrenten für uns entwickeln. Darüber hinaus entwickeln sich aus China heraus größere Konkurrenten, beispielsweise CRCC, China Railway Construction Corporation. Und da rede ich mittlerweile auch vom europäischen Markt. Sie bieten sogar schon für die Deutsche Bahn mit an. Darum erscheint es für manche Siemensianer auch etwas wunderlich, dass die EU die angestrebte Fusion zwischen Siemens und Alstom abgelehnt hat, wenn die Chinesen quasi schon vor den Toren stehen und ja auch schon bereits Projekte hier in Europa abgewickelt haben. CRCC hat in China ganze Städte gegründet, Land aufgeschüttet, Gigafactories dort gebaut, nur um die benötigten Teile für den Markt zu produzieren. Sie rüsten ja auch schon Afrika aus. 

Interessant. Darum noch einmal konkreter zum Bahngeschäft selbst: Kannst Du unseren Lesern einmal Euer Kerngeschäft genauer beschreiben, also was Ihr genau anbietet und implementiert?

Neumann: SIEMENS Mobility ist in fünf Geschäftseinheiten unterteilt: ‚Rail Infrastructure‘ für die Signal- und Leittechnik des Bahnverkehrs, ‚Turnkey‘ für die Errichtung schlüsselfertiger Bahnanlagen, ‚Rolling Stock‘ für Züge jeglicher Art, ‚Customer Service‘ für die Instandhaltung und ‚Intelligent Traffic Systems‘ für Verkehrssteuerungssysteme. Ich selbst bin in der Signaltechnik unterwegs, und zwar am Standort Braunschweig. Hier haben wir die allerbesten Kollegen vor Ort, die einen hervorragenden Job machen. Wir sorgen dafür, dass der öffentliche Personenverkehr immer sicherer wird – und mittlerweile auch digitaler. Dabei wollen wir auch weiterhin besser werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir daran arbeiten, effizientere Zugfolgezeiten zu erreichen, um mehr Menschen und mehr Güter schneller, aber eben auch sicherer von A nach B zu bewegen. Wir offerieren dazu unseren Kunden modernste Stellwerks- und ETCS-Technologie. ‚ETCS‘ steht dabei für das ‚European Train Control System‘, ein Zugbeeinflussungssystem mit einer von Leveln abhängigen Funktionsweise. Je nach Kundenanforderung muss ein konkretes Level erreicht werden, welches spezifische Interaktionen zwischen Bahnstrecken und Zügen definiert, auf welchen Wegen Informationen zu den Zügen geendet werden und auch welche Funktionen sowohl fahrzeug- als auch streckenseitig ausgeführt werden sollen. Hier gibt es oft die Herausforderung, unsere neue Technik für ältere Zugsysteme, die von uns modernisiert werden sollen, nutzbar zu machen. Denn so lange es sich nicht um ein Turnkey-Projekt handelt, geht es immer auch darum, verschiedene Technologien zu integrieren. Ich sollte vielleicht noch weitere technische Bestandteile als Teil unserer Signaltechnik-Produktpalette nennen - diese reichen von Eisenbahnsignalen über Achszählsysteme, Gleiskreise, Blockübertragungssysteme, Weichenstellsysteme und weitere. Auch die Leittechnik ist wichtig, also die Technik, die alles visualisiert, um dem Kunden Bediensysteme bereitzustellen. 

In welcher Größenordnung bewegen sich bei so einem Portfolio bei entsprechenden Projekten die Auftragsvolumina?

Neumann: Im Metrogeschäft reden wir über Projekte mit einem Umsatz zwischen in der Regel 10 und 100 Millionen Euro. Du und ich haben zum Beispiel ja vor 15 Jahren an einem der längsten Metrostrecken überhaupt gearbeitet: der Delhi Metrolinie 3 in Indien. Es gibt meines Wissens nach weltweit kaum längere Linien als diese. Das Preisniveau ist in Indien allerdings sehr niedrig, so dass wir keine 100 Millionen erreicht haben. Aber vom Portfolio her ging das Spektrum über die gesamte Landesausstattung von modernen ETCS-Lösungen, wie auch bei unserem aktuellen Projekt in Norwegen. Bei diesem relativ neuen Bahnprojekt wiederum reden wir dann allerdings über eine wirklich sehr hohe Umsatzsumme – nämlich 800 Millionen Euro. Darin inkludiert sind Planung, Implementierung, aber auch die Instandhaltung – alles allein aus Sicht unserer Signaltechnik. Andere Anbieter kümmern sich überdies um weitere Felder wie die Leittechnik und die Zugausrüstung. Der Trend geht auch mittlerweile eher in Richtung von Großprojekten.

Eingangs hast Du ja schon kurz über Deine Rollen im Projektgeschäft gesprochen. Kannst Du unseren Lesern einmal einen Überblick über Deine persönliche Projekthistorie geben sowie Deine Rollen beschreiben – und auch, was die Projekte jeweils besonders macht?

Neumann: Dann müssen wir uns zurück in die 90er begeben: Von 1994 bis 1998 war ich kaufmännischer Projektleiter für die Metro in Guangzhou, China. Das war ein von der KfW mitfinanziertes Turnkey-Projekt, wo neben der Signaltechnik auch andere Gewerke professionell ausgesteuert worden sind. Interessant war auch, wie wir dieses Projekt gegen Alstom gewonnen haben, wo auch der Konflikt zwischen China und Taiwan eine Rolle spielte, aber das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall konnten wir alle in diesem Projekt vom Start an gleich sehr viel lernen.

In meinem nächsten Projekt war ich dann von 1998 an der kaufmännische Projektleiter für die TKE (Tseung Kwan O) Line in Hong Kong. Hier haben Du und ich uns ja das erste Mal kennengelernt und hatten dann auch in vielen der Folgeprojekte zusammengearbeitet. Das Besondere an diesem Projekt war unsere Kooperation mit der französischen Partnergesellschaft MATRA: Während wir aus Deutschland die Stellwerke projektiert haben, waren die Franzosen für das Zugbeeinflussungssystem verantwortlich. Dass es dann hier und da die ein oder andere Herausforderung gab, liegt auf der Hand. Schlussendlich haben wir alle in diversen interkulturellen Trainings viel gelernt, was noch bis heute gültig ist: Wir als Deutsche haben in Projekten in der Regel ziemlich schnell ein Lösungskonzept und ein Ziel vor Augen, auf das wir uns konzentrieren, während ein Franzose eher mit allen Beteiligten Brainstorming-Sessions organisiert, und jeder sehr lange frei überlegen kann. Da sind wir Deutsche ungeduldiger, und dann gerät man auch mal aneinander. An was ich auch gerade denken muss ist, dass früher unsere Projekte wesentlich kleiner waren als heute – nicht nur vom Umsatz, sondern auch von den Projektmitgliedern her. Waren wir damals im Hong Kong-Projekt noch um die zehn bis fünfzehn Personen in Deutschland, sind es heute in einigen Projekten bis zu 250 Leute. 

Nach Hong Kong wurde ich ab 2000 im Xin Min-Projekt wieder als kaufmännischer Projektleiter eingesetzt. Hierbei handelte es sich um ein kleineres Projekt, und zwar um eine 20 km Strecke auf Betonpfeilern – ein Nachfolgeprojekt von dem Transrapid, das Kollegen von uns auch aus Braunschweig heraus geführt hatten. Das Xin Min-Projekt war für uns nach dem Transrapid eine erste, neue Möglichkeit, erneut U-Bahnen – allerdings im etwas kleineren Stil – in China auszurüsten. 

Danach kam ab 2001 das New York-Projekt: Wir hatten das Implementierungsprojekt für die Leittechnik für das gesamte Bahnnetz von New York gewonnen, inklusive Manhattan. Unser Kunde war die NYCT (New York City Transit Authority). Die Leittechnik von einem amerikanischen Konkurrenten hatte vorneweg versagt, und wir von SIEMENS sprangen ein. Du hattest damals dann ja auch für uns an der Konfiguration der einzelnen Komponenten der New Yorker-Leittechnik im Projekt gearbeitet. Die größte Challenge war definitiv die World Trade Center Attacke im September 2001. Wir hatten Mitarbeiter in einem der Tower – die saßen da direkt mit drin, als die Flugzeuge kamen, und alles wurde zerstört. Als das erste Flugzeug in den ersten Tower einschlug, begannen unsere Mitarbeiter aus dem zweiten Tower, vorsorglich das Gebäude zu verlassen. Dann kam das zweite Flugzeug. Zwei amerikanische Kollegen haben wir damit leider verloren; viele andere sind mit viel Staub auf Haut und Haaren noch davongekommen. Und es wurde viel Dokumentation vernichtet. Dennoch konnten wir 2005 am Ende wie geplant in Betrieb gehen.

Und dann kam 2005 Indien – die Delhi Metro Linie 3 und später auch weitere Extensions. Das war das schnellste LZB-Projekt (Linienzugbeeinflussungssystem), was wir jemals durchgeführt hatten: Von der Vertragsunterschrift bis zur ersten Bahn waren es nur 14 Monate! Hier war ich erneut der kaufmännische Projektleiter für die Signaltechnik. Das gesamte Projekt war komplexer, insbesondere hatten wir ja Kollegen in Indien inklusive Dir als Claim Manager vor Ort, plus noch weitere Mitarbeiter aus SIEMENS Thailand und China. Dieses Projekt war auch aus kaufmännischer Sicht quasi die Champions League! Der indische Kunde hat Punkte in unseren Verträgen hinterfragt und sie über die Dauer der Projektzeit sehr smart immer weiter neu verhandelt. Das Motto, dem ich bis dahin gefolgt war – Vertrag kommt von vertragen – habe ich dann schnell ad acta legen müssen. Seitdem „filetieren“ wir Requirements in unseren Verträgen Stück für Stück vorab – von der Erfassung bis hin zur Verifizierung mit Gutachtern. Zum ersten indischen Projekt kamen dann mehr und mehr Folgeprojekte hinzu. Das ging alles sogar bis 2015. 

Ab 2013 wurde ich selbst allerdings schon als kaufmännischer Projektleiter für Südafrika benannt. Das Land hatte ein Infrastrukturprogramm aufgelegt, um die Regionen bei Kapstadt, Durban und Johannesburg aufzubauen – inklusive der Bahninfrastruktur. Wir hatten den Vertrag für 100 Stationen in der Johannesburg-Region gewonnen, wo wir die Signaltechnik projektiert und geliefert hatten. Ich war dann auch geschäftlich mal vor Ort, und dann man merkt schon, dass Afrika ein anderer Kontinent ist. 

Und Dein aktuelles Projekt ist nun ERTMS Norwegen.

Neumann: Genau. Der Auftraggeber ist BANE NOR, und das ‚ERTMS‘ im Projekt steht für ‚European Rail Traffic Management System“, das schon ab 2016 vorbereitet und im April 2018 gewonnen wurde – mit einem Volumen von 800 Millionen Euro! 650 sind dabei für die Implementierung vorgesehen und 150 für die spätere Instandhaltung bis 2034. Wir von SIEMENS sind für die gesamte Signaltechnik verantwortlich, wohingegen andere Firmen wie Thales das Leitsystem projektiert und Alstom die Züge ausrüstet. BANE NOR möchte, dass wir in einer Art „New Collaboration Approach“ mit diesen Firmen zusammenarbeiten, was wir natürlich umsetzen. Besonders macht dieses Projekt zum Beispiel, dass wir die ersten rein IP-basierten Stellwerke projektieren, die lediglich über nur noch zwei Zentralen im Land gesteuert werden. Dafür werden 400 Stellwerkscontainer in ganz Norwegen verteilt, die mit den Zentralen verbunden sind. Diese sind immer auf „hot standby“. Wenn also durch einen Terroranschlag eine Zentrale ausfällt, kann man das gesamte Land von der anderen Location weiter bedienen. Ich bin in diesem Projekt erneut in der Funktion des kaufmännischen Projektleiters tätig. Ich betreue konkret den Liefer- und Leistungsumfang des deutschen Anteils, der bei 330 Millionen Euro liegt. Durch die aktuelle Covid-Situation ist die gesamte Budgetsituation allerdings etwas schwieriger geworden. Auch darum haben wir in diesem Projekt sehr spezifische Anforderungen im Bereich des Claim Managements. Daher kümmere ich mich aus kaufmännischer Sicht noch stärker um ein konsequentes Tracken der Kalkulation, die Optimierung des Opportunitymanagements und um eine konsequente Risikovermeidung. 

Das ist eine sehr beeindruckende Projekthistorie! Welches von all diesen Projekten ist Dir am meisten in Erinnerung geblieben?

Neumann: Wahrscheinlich genau wie Dir auch: das Delhi Metro Projekt, wo der Kunde äußerst professionell in seinem Handeln aus Sicht der kaufmännischen Seite war. Das sind andere Kunden natürlich auch, aber Business in Good-old-India ist schon sehr interessant. Wir mussten innerhalb von kürzester Zeit eine Performance liefern und haben es geschafft, dass innerhalb von 14 Monaten die erste Metro fuhr – und das in einem Schwellenland. Mit dieser Dynamik ist das heute wohl nicht mehr so durchführbar.  

Wie wichtig ist bei derartigen Projekten das Thema Projektmethodik? Welche Methoden verwendet Ihr heutzutage, und was macht diese aus?

Neumann: Bei einer gewachsenen Organisation wie SIEMENS ist es wichtig, dass man eine Projektmethodik hat und diese auch lebt. Ich habe sogar selbst bei SIEMENS Mobility noch in den 90ern bei der Einführung von Projektmanagement-Prozessen mitgewirkt. Das alles hat dazu beigetragen, dass Projekte noch professioneller und eben auch einheitlicher gemanagt werden. Heute haben wir mit PM@Siemens einen standardisierten Prozess, der Kundenkategorien berücksichtigt und die benötigten Prozesse, Techniken und Tools bereitstellt. Wir folgen dabei IPMA/GPM-Empfehlungen und haben daher auch unsere Projekte in D- bis A-Projektklassen eingeteilt. Das Norwegen-Projekt ist zum Beispiel ein A-Projekt, da wir neue Produkte ausrollen, der Value sehr hoch ist und es eine hohe technische Komplexität aufweist. Auf der anderen Seite darf man es mit Projektmethoden aber auch nicht übertreiben: Da Ausschreibungen in der heutigen Zeit immer komplexer werden, muss sichergestellt sein, dass eine Projektmethodik uns in der danach kommenden Projektausführung auch weiterhin wirklich unterstützt und nicht beschränken darf. Diese immer komplexeren Ausschreibungen verlangen eine Flexibilität, die etablierte Prozesse ansonsten manchmal nicht mehr bieten. Dann ist es wieder Zeit für einen Change, also für ein weiteres, sinnvolles Update der Projektmethodik. In Summe ist eine Projektmethodik, gerade für globale Organisationen und nicht nur aber insbesondere auch für Großprojekte äußerst wichtig.

Ein weiteres wichtiges Projektthema ist neben bzw. als Teil einer Methodik das Claim Management, was Du ja auch gerade zweimal schon benannt hast – einmal im Delhi-, dann im Norwegen-Projekt. Was gibt dem Claim Management in Projekten einen so hohen Stellenwert?

Neumann: Die Installation eines funktionierenden Claim Managements ist quasi eine Art Lebensversicherung im Projekt. Zum einen, weil es mittlerweile Standard ist. Gerade staatliche Kunden sind an einer fairen und transparenten Abwicklung der Projekte interessiert – und haben ja gute Leute, die im Laufe der Projektlaufzeit gerne auch einmal extra Deliveries wünschen bzw. realisieren lassen. Dann sollte für Mehrleistungen aber auch fair gezahlt werden – und dann kommt es eben drauf an, wie man das Claim Management vertraglich implementiert hat. Hier gibt es verschiedene Kategorien, wo man ansetzen kann, um Variation Orders, also Nachtragsaufträge, genehmigt zu bekommen. Und zum anderen kann man aus kaufmännischer Sicht dann ja auch noch weitere Gründe nennen, zum Beispiel muss man trotz bestem Risikomanagement mit sogenannten „Nonconformance Costs“ (NCC), also frei übersetzt Nichtkonformitätskosten, Fehlerkosten rechnen. Sie gehören quasi dazu; man muss mit ihnen leben. Auch hier kann mit einem funktionierenden Claim Managements aus kaufmännischer Sicht etwas entgegengesetzt werden. 

Nun haben wir länger über das Projektgeschäft an sich gesprochen. Meine nächste Frage bezieht sich vielleicht nicht mehr nur darauf, sondern auch allgemeiner auf ganz SIEMENS – wie wichtig ist und wird die Digitalisierung für Euch?

Neumann: Wir selbst nutzen immer mehr integrative digitale Produkte, und teilweise auch schon länger wie den Einsatz von SAP-Software, wo wir allerdings noch weiterhin mit dem Umstieg auf S/4HANA beschäftigt sind. Unsere Mobility-Division hatte hier unter anderem den Vorreiter gespielt, indem wir zum Beispiel die ersten waren, die die Migration von Altdaten in das neue S/4-System getestet haben. Der Grund aber, warum dieser Umstellungsprozess andauert ist, dass unsere Systemlandschaft sehr komplex ist, und wir auch viele Eigenentwicklungen im bisherigen SAP ECC haben. Die Nutzung von SAP findet dabei sowohl auf Management- als auch auf Projektebenen statt. Wir nutzen weitere digitale Produkte, zum Beispiel BIM 360, das ‚Building Information Modeling“ von Autodesk, für die Planung von Projektierungsvorbereitungen unserer Projekte. Außerdem haben wir große Fortschritte in dem Bereich ‚automatisierte Testumgebungen‘ gemacht, so dass wir in Windeseile verschiedene Fallstudien durchtesten können. Die Digitalisierung macht aber gerade auch vor unseren Produkten nach außen nicht halt: Eingangs hatte ich ja das ETCS erwähnt: das Zugbeeinflussungssystem mit den entsprechenden Leveln. In unseren aktuellen und zukünftigen Projekten bieten wir oftmals nunmehr das höchste Level 3 an: Das bedeutet, dass sehr viel bei unseren Kunden dann nur noch digital auf und neben der Bahnstrecke passiert, zum Beispiel verschlüsselte IP-Kommunikation mit digitalen Stellwerken. 

Wenn wir in die Zukunft schauen, wohin wird sich die SIEMENS Bahntechnik entwickeln?

Neumann: Wir müssen unbedingt unsere Marktführung verteidigen. Es kommen neue globale Konkurrenten, so dass wir weiterhin mit Innovationen glänzen müssen, um den aktuellen Vorsprung beizubehalten. Die Digitalisierung wird uns dabei auch in Deutschland mächtig nach vorne bringen. So hat die Bundesregierung zum Beispiel das Projekt „Digitale Schiene“ ins Leben gerufen – ein 17 Milliarden schweres Förderprogramm in unsere Infrastruktur. Ob mit oder ohne Corona, ich gehe davon aus, dass auch andere Länder ähnliche Programme weiterhin formulieren, wo wir von SIEMENS mit Sicherheit unsere starken Lösungen anbieten können. Neben dieser kaufmännischen Seite werden sich auch technische Bereiche fortentwickeln – so wird sich beispielsweise das fahrerlose Fahren von Bahnen mehr und mehr durchsetzen, gerade auch im Zusammenspiel mit ETCS Level 3 und ATO, also ‚Automated Train Operations‘. Das ist schon ganz gut im Metroverkehr gestartet, und man kann es sich auch stärker für Fernstrecken, wie zum Beispiel in Norwegen, vorstellen. 

Zusätzlich zu Deiner Rolle bei SIEMENS unterstützt Du auch OYSTEC als Executive Advisor. Vielen Dank dafür! Vor dem Hintergrund Deiner Erfahrungen als Projektleiter im globalen Projektgeschäft: Wie bewertest Du die Capabilities von OYSTEC? 

Neumann: Ihr habt da einiges, was Organisationen voranbringt – ich sehe da zum Beispiel unter anderem Eure Services für Projekt- und Claim Management. Wichtig dabei ist ja immer eine gesunde Mischung aus Theorie und Praxis. Wenn Ihr zum Beispiel PMI verwendet – so wie Ihr es ja tut, ist das eine sehr gute Sache. Aber es zählen dann natürlich auch darüber hinaus die Softskills und Erfahrungen aus Vorprojekten und anderen Industrien; und das kann eine Projektmethodik natürlich nicht alleine handeln. Solange Ihr daher weiterhin den Kunden in den Mittelpunkt stellt und dabei immer „ein Ohr an der Schiene“ habt, macht Ihr einen guten Job.  

Vielen Dank. Nachdem Du nun so detailreich über die Bahnindustrie gesprochen hast – wo kann sich denn ein interessierter Leser noch weiter in diese Materie einarbeiten?

Neumann: Was ich persönlich sehr mag ist die InnoTrans-Messe in Berlin, eine internationale Fachmesse für Verkehrstechnik. Hier kommen immer viele Anbieter und potenzielle Kunden zusammen; Aussteller zeigen die neusten Highlights und Produkte. Sodann lese ich gerne regelmäßig die ‚Railway Gazette‘, die monatlich erscheint und die mich mit den neuesten Updates aus meiner Industrie versorgt. Das beides kann ich sehr gut empfehlen. 

Volker, vielen Dank für das interessante Gespräch!

 Volker_Eisenbahn_Bild

Eines der Hobbies von Volker Neumann: Eisenbahnmodellbau

 

Link: SIEMENS Mobility Website

Link: InnoTrans-Messe Berlin

Link: Railway Gazette

Link: OYSTEC Offering - Interim Claim Manager

Link: OYSTEC Offering - Design einer Projektmanagement-Methodik (mit PMI PMBOK7)

Link: OYSTEC Offering - Projektmanagement-Coach

 

Copyright: SIEMENS, SIEMENS Mobility und andere erwähnte SIEMENS-Firmennamen und -Produkte sind eingetragene Marken der SIEMENS AG. PMI und PMBOK sind eingetragene Warenzeichen des Project Management Institutes, Inc.

 

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